Achtung: dieser Beitrag hat Trigger-Potenzial UND Befreiungspotenzial. Denn das Loslassen stellt für viele Trauernde ein sensibles Thema dar. Warum loslassen, was du geliebt hast? Loslassen heißt für mich aber nicht, einen Menschen zu vergessen. Und loslassen bedeutet für mich auch nicht Gleichgültigkeit. Sondern loslassen heißt für mich vielmehr: Ich BEFREIE mich von Gefühlen und inneren Programmierungen, die mir nicht mehr dienlich sind und erlaube mir, Neues zuzulassen.
🤫 Psst… Du hörst lieber, als dass du liest? Diesen Blogbeitrag findest du hier auch als Podcastfolge.
Festhalten macht Sinn!
Ich verstehe, dass man wütend darauf reagiert, wenn einem gesagt wird: “Du musst jetzt aber mal loslassen. Der Verlust oder die Trennung ist jetzt schon eine Weile her. Das Leben geht weiter.” – Nein, so einfach geht das nicht. Denn festzuhalten an dem, was war, was uns lieb und vertraut war, macht erstmal einfach Sinn. Denn es vermittelt uns in einer Ausnahmesituation nach einem Verlust und im Gefühlschaos der Trauer das Gefühl von Kontrolle, Sicherheit und Vertrautheit.
Du kannst dir das bildlich vorstellen wie mit einer Krücke.
Vielleicht hast du selbst schon mal ein Gipsbein gehabt und bist auf Krücken gegangen. Dann bist du erstmal dankbar, dass du die Krücken hast. Die Krücken machen Sinn. Denn sie stützen dich und geben dir Halt, wenn du dich wacklig auf den Beinen fühlst.
Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem es Zeit ist, die Krücken weg zu lassen, sie in die Ecke zu stellen und selber wieder auf den eigenen Beinen stabil zu gehen. Das kann sich dann am Anfang erstmal ungewohnt anfühlen, erstmal wieder gehen “lernen” zu müssen ohne fremde Hilfe (also die Krücken). Doch gleichzeitig ist es ein befreiendes Gefühl, wenn du schließlich nicht mehr von den Krücken abhängig bist. Du hast viel mehr Möglichkeiten, dich auf deinen eigenen 2 Beinen zu bewegen, zu laufen, zu rennen, zu tanzen, zu springen und das Leben zu genießen.
Vom Zulassen zum Loslassen in der Trauer
So ähnlich ist das auch in der Trauer. Am Anfang geht es darum, zuzulassen, was ist – auch unangenehme Gefühle wie Schmerz, Traurigkeit, Wut, Verzweiflung, Angst und Hilflosigkeit. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem du dich davon befreien darfst. Vielleicht ist befreien auch ein Wort, das dir besser gefällt als loslassen. Denn beim Loslassen geht es für mich nicht darum, einen geliebten Menschen aus dem Gedächtnis zu streichen und so zu tun, als ob nichts gewesen wäre.
Sondern es geht darum, bewusst alte Programmierungen und Narrative loszulassen, die dich mental und emotional in der Vergangenheit festhalten und dich in der Gegenwart unzufrieden und unglücklich machen.
Loslassen heißt, sich von alten Programmierungen zu befreien
Dich von alten Programmierungen und Geschichten zu befreien heißt: du entscheidest, worauf du deinen Fokus im Hier und Jetzt richtest und erlaubst dir selbst Verantwortung für dich, dein Leben und deine Gefühlswelt zu übernehmen. Überlege dir:
- Was gibt dir Halt – von innen heraus?
- Welche Gefühle wünschst du dir?
- Wie willst du dich fühlen?
Wenn du diese Fragen hörst, merkst du vielleicht: Puh, gar nicht so leicht! Ich weiß eigentlich gar nicht so recht, wie ich mich fühlen will…. und welche Gefühle ich spüren will.
Oder du merkst: Ok, ich weiß ich will wieder glücklich sein. Ich möchte wieder Freude und Freiheit genießen! Doch dann kommt direkt wieder der Kopf (dein Verstand) und sagt: “Nee, wie soll das denn gehen, darf ich fröhlich sein? Ich muss doch traurig sein, sonst bedeutet das ja ich hab ihn/sie nicht geliebt…”
Und so weiter und so fort. Kommt dir das bekannt vor?
3 Gründe, warum loslassen schwer fällt
In diesem Beitrag möchte ich 3 Gründe mit dir teilen, warum loslassen oft so schwer fällt. Gleichzeitig schenke ich dir Impulse, wie es dir dennoch gelingen kann, dich von dem zu befreien, was dich nach einer Verlusterfahrung in der Trauer noch blockiert.
Grund 1: Unzufriedenheit mit dem Status quo
Meine These dazu ist:
Je unzufriedener wir mit der Gegenwart sind, desto mehr halten wir an der Vergangenheit fest. ODER: Wir klammern uns an eine bestimmte Vorstellung oder Erwartung in der Zukunft.
Früher war alles besser
Dazu mal ein kleiner Exkurs: Schauen wir uns einfach mal an, welches emotionale Echo die aktuellen Entwicklungen im Land und der Welt, wie Corona, die Energiepreiskrise oder der Krieg in der Ukraine auf kollektiver Ebene erzeugen. Viele fühlen sich verunsichert, ängstlich, hilflos und unzufrieden, wie es gerade läuft. Wie viele wünschen sich die Zeit vor Corona zurück – ohne Einschränkungen und Angst vor Ansteckung. Oder die Zeit, in der Energie noch bezahlbar war?
Vielleicht hast du schon den Spruch gehört: “Früher war einfach alles besser.” Oder mit Blick auf die Zukunft solche Befürchtungen wie: “Wo soll das bloß hinführen? Wir müssen was gegen den Klimawandel tun, sonst rotten wir den Planeten aus!”
Ok, das ist jetzt bewusst etwas schwarz-weiß und plakativ gemalt. 😉 Doch was ich dir damit deutlich machen möchte ist: Die Unzufriedenheit und Nicht-Akzeptanz der Gegenwart, der Lebensbedingungen im Hier und Jetzt, sorgt dafür, dass wir gerne am Gewohnten – also der Vergangenheit – festhalten.
Oder: wir lenken uns vor den realen Bedingungen und Verantwortungen in der Gegenwart ab, in dem wir uns auf Projektionen und Vorstellungen für die Zukunft fixieren.
Trauer nach einem Verlust – eine Realität, die uns nicht schmeckt
In der Trauer verhält sich das ähnlich. Trauer konfrontiert uns mit einer Realität, die wir erstmal nicht haben und annehmen möchten. Häufig in Verbindung mit den Warum-Fragen: Warum musste das passieren? Warum er/sie? Und nicht ich? Warum kann er nicht einfach wieder da sein und alles so sein wie vorher?
Im weiteren Verlauf der Trauer, kann es vorkommen, dass wir uns an das Erlebte in der Vergangenheit zusammen mit dem verstorbenen Menschen klammern – sowohl die Schönen, als auch die schmerzhaften Erinnerungen. Ob es gute oder schlechte Erinnerungen sind, spielt erstmal keine Rolle. Das Entscheidende dabei ist, warum wir daran gerne (oft auch unbewusst) festhalten: Weil wir uns dadurch verbunden mit der geliebten Person fühlen.
Wir fühlen uns nahe, wenn wir an sie oder ihn denken. Auch wenn das in uns Schmerz und Traurigkeit auslöst, weil wir uns auf körperlicher Ebene wieder zurückversetzt in die Zeit von damals fühlen. Denn der Körper unterscheidet nicht zwischen real oder nur gedacht. Sondern das Gefühl ist im Körper da. Es loszulassen würde erstmal bedeuten, die Verbindung zu dem geliebten Menschen loszulassen. Und das wollen wir ja nicht. Du erinnerst dich an das Bild mit der Krücke. Die Krücke macht ja erstmal Sinn.
Genauso können uns bestimmte Vorstellungen und Erwartungen mit Blick auf die Zukunft am Loslassen hindern. “Wir hatten doch noch so viel vor.”, “Ich hatte Pläne…” Oder der Perfektionismus schleicht sich ein: “Ich will perfekt trauern, bloß nicht zu früh funktionieren, sonst holt es mich ein.” Oder eigene Verbote, die sich aus eigenen oder wahrgenommenen gesellschaftlichen Erwartungen speisen: “Ich darf doch jetzt nicht fröhlich sein, wenn mein Papa/meine Mutter gestorben ist.”, “Wie soll ich jemals wieder unbeschwert Freude empfinden?”
Wie du dich mit der Gegenwart versöhnst
Egal ob du bewusst oder unbewusst an der Vergangenheit festhältst – und nochmal: das hat auch seinen Sinn – oder ob du dich von Erwartungen und Vorstellungen mit Blick auf die Zukunft bestimmt fühlst. Die Lösung für deine Unzufriedenheit und Hilflosigkeit findest du nur im Hier und Jetzt, in dem du dich aussöhnst, mit dem was in der Gegenwart ist.
Denn um etwas loslassen zu können, müssen wir es erst einmal annehmen können. Das ist wie beim Handball. Ich kann einen Ball nur werfen, wenn ich ihn erstmal gefangen, also angenommen habe. Ansonsten habe ich ja nichts in der Hand zum Werfen!
Das bedeutet, wenn du dich gerne von unangenehmen Gefühlen befreien möchtest, diese also loslassen möchtest, dann ist der erste Schritt zur Veränderung: Lass die Gefühle zu, die in der Gegenwart durch einen Verlust getriggert werden und ins Bewusstsein kommen und nimm sie liebevoll als einen Teil von dir an.
Söhne dich aus mit dem, was ist, indem du von den Gedankenspiralen der Vergangenheit und Zukunft in die Präsenz, die Wahrnehmung des Moments kommst. Im HIER und JETZT bist du handlungsfähig. Im HIER und JETZT kannst du wahrnehmen, was du fühlst und deine Gefühle transformieren – von unangenehme in angenehme Gefühle.
Grund 2: Schuldgefühle
An dieser Stelle möchte ich erstmal eine Lanze brechen für Schuldgefühle. Äh wie bitte?? 🧐 Ja du hast richtig gehört. Schuldgefühle sind per se nicht schlecht. Die Trauerbegleiterin Chris Paul hat zu dem Thema Schuld ein ganzes Buch geschrieben mit dem Titel “Schuld Macht Sinn”. Du findest bei YouTube auch Videos von ihr zu dem Thema, wenn du da tiefer einsteigen magst.
Schuld macht Sinn
Wenn wir über Schuld sprechen, sind wir wieder bei der Metapher mit der Krücke vom Anfang. Genauso wie das Festhalten ist auch die Schuld wie eine Krücke, die uns erstmal ein Gefühl von Kontrolle und Halt vermittelt. “Ich hätte doch was tun können. “ Gleichzeitig kann sich dahinter auch das schlechte Gewissen verbergen: “Hätte ich mich doch noch verabschieden können. Hätte ich ihn doch nicht einfach so barsch weggeschickt. Hätte ich es nicht schon früher sehen müssen? Wie kann ich nur fröhlich sein, wenn ich weiß wie sie gelitten hat…?“
Aus eigener Erfahrung und durch Gespräche in der Trauerbegleitung merke ich, wie oft Schuldgefühle ein Begleiter in der Trauer sind bzw. durch die Verlusterfahrung angetriggert werden.
Ein anderes Wort für Schuld ist: Verantwortung. Wir fühlen uns schuldig oder verantwortlich, dass etwas passiert ist. Wir fühlen uns verantwortlich, dass es anderen gut geht und schuldig, wenn wir dabei „versagen” und es uns nicht gelingt, andere heil zu machen oder aus ihrem dunklen Loch raus zu holen.
Von der Schuld in die Selbstverantwortung
Doch mach dir bewusst: es gibt Dinge im Leben, die können wir nicht kontrollieren. Ich nicht und du nicht. So schwer das fällt zu realisieren. Und glaub mir: Ich bin selber so ein gelernter Kontrolletti 🤓, für den es immer wieder ein Training ist, loszulassen und Kontrolle abzugeben. Doch es ist möglich, sich daraus zu befreien.
Wie?
Indem du dir folgendes bewusst machst:
Du selbst bestimmst, wie du auf das reagierst, was dir begegnet und welche Geschichte, welches Narrativ du daraufhin dir selbst und anderen erzählst.
Das heißt: Ich übernehme Verantwortung für das, was ich getan habe und was ich nicht getan habe in dem Bewusstsein: Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die kann ich nicht ändern. Andere Menschen treffen eigene Entscheidungen und haben ihre eigene Gefühlswelt. Ich bin nicht komplett verantwortlich, wie sich ein anderer fühlt. Doch ich bin verantwortlich dafür, wie ich mich selbst fühle.
Und wenn es dir schwer fällt, in der Trauer nach dem Verlust eines geliebten Menschen die Krücke der Schuld wegzuwerfen, die Schuld loszulassen, dann lade ich dich ein, dir die Frage zu stellen:
- Hätte dein geliebter Mensch gewollt, dass du unglücklich bist und dich schuldig fühlst?
- Oder hätte er gewollt, dass du glücklich bist, dass du lieb zu dir bist und auch wieder Freude am Leben spürst?
Falls dir das alleine schwer fällt, dann erlaube dir dafür Hilfe zu suchen. Egal ob bei einem Trauerbegleiter, einer Trauerbegleiterin in deiner Nähe oder bei mir. Wenn es sich für dich stimmig anfühlt, schreib mir und wir schauen gemeinsam in der Einzelbegleitung, wie du an die Wurzel deiner Schuldgefühle kommst und diese loslassen und transformieren kannst.
Grund 3: Unausgesprochene Konflikte
Vielleicht geht es dir auch wie mir, dass du ein Mensch bist, der tendenziell lieber Konflikte umschifft, als sich diesen aktiv zu stellen. Ich merke dabei, dass es dann aber irgendwann in mir zu brodeln beginnt. Das heißt: die Konflikte, die ich im außen vermeide, trage ich in mir aus: z. B. durch Selbstvorwürfe, oder Wut, die sich gegen mich selbst richtet. Nach dem Motto: “Mensch, hättest du doch was gesagt!”
Was ich dir noch so gerne gesagt hätte…
Inzwischen merke ich, dass es einfach gut tut, direkt das Gespräch zu suchen, wenn ich mit einer Person in meinem Umfeld Spannungen spüre. Doch was, wenn die Person, plötzlich nicht mehr da ist und nach dem Tod oder der Trennung offene Konflikte und Ungesagtes im Raum steht?
Viele Hinterbliebene quälen sich in der Trauer mit dem Gedanken: “Hätte ich mich doch noch verabschieden können…” Oder merken, dass es viel Unausgesprochenes in der Beziehung mit dem Verstorbenen gab, was nicht im persönlichen Gespräch geklärt wurde und es sie dann immer wieder im Gedanken “einholt”. Im Frieden und in der Liebe loszulassen scheint dann unmöglich, weil durch die Gedanken (positiv oder negativ), fühlt man sich ja noch verbunden. Und doch scheint eine Last auf der Beziehung zum Verstorbenen zu liegen.
Wenn dir das bekannt vorkommt, habe ich eine gute Nachricht für dich:
Es ist auch möglich nach dem Tod deines geliebten Menschen, tiefen und echten Abschied zu nehmen und unausgesprochenes auszusprechen oder adressiert an den / die verstorbene Person aufzuschreiben.
Und damit loszulassen, sodass der Weg zum inneren Frieden frei wird. Dabei kann dir z. B. ein Briefritual helfen.
Mit einem Briefritual ausdrücken, was dich bewegt
Wenn du merkst, da gibt es in dir noch ein Ringen um Unausgesprochenes, was sich nicht so frei in der Beziehung zu der geliebten Person anfühlt und du deine Trauer in konstruktive Bahnen lenken möchtest, dann ist das Briefritual vielleicht genau das Richtige für dich an dieser Stelle.
Ich habe dazu auch einen Video-Kurs erstellt, in dem ich dir Schritt für Schritt zeige, wie du ausdrücken kannst, was dich nach einem Verlust wirklich bewegt und wie du Dich achtsam von belastenden Gefühlen und Energien reinigen kannst. Als Bonus zum Video-Kurs erhältst du von mir eine Meditation geschenkt, die dir hilft, deine Selbstannahme und dein Urvertrauen zu stärken.
Ich habe das Briefritual selbst das erste Mal vor zwei Jahren, 15 Jahre nach dem Suizid meines Vaters durchgeführt. Und es hat auch mit dem langen Abstand einfach gut getan, gerade Schuldgefühle loszulassen und mehr in die Dankbarkeit zu kommen. Auch meine Klient:innen in der Einzelbegleitung haben mir davon berichtet, wie es Ihnen im Trauerprozess geholfen hat und wie reinigend es für sie war. Klicke hier, wenn du dir damit selbst ein Geschenk für deinen inneren Frieden machen möchtest.
Fazit
Das waren meine Impulse zum Loslassen bzw. zum Befreien von dem, was dir in der Trauer nicht mehr dient. Es kann sein, dass dieser Beitrag in dir auch Widerstände hoch bringt. Oder du merkst, dass es dich weiter und freier macht, wenn du bestimmte Impulse daraus in deinen Alltag mitnimmst.
Mich interessiert auch deine Meinung zu diesem Thema. Deshalb schreib mir gerne deine Gedanken in den Kommentaren. 💌
Ich freue mich von dir zu hören. Wenn du beim Lesen merkst: Puh da ist in mir einiges in Bewegung gekommen, aber ich weiß das nicht so recht einzuordnen und möchte da gerne dran arbeiten. Dann schreib mir (coaching@friedrichstratmann.com). Ich habe aktuell noch freie Plätze für Einzelsitzungen in der Trauerbegleitung – gerne auch online per Video-Call oder am Telefon.
Bis dahin alles Liebe ❤️
Friedrich